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Homo oeconomicus
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I. Begriff
und Ursprung
Der Homo oeconomicus ist der im deutschen Sprachraum verwendete
terminus technicus für das in den Wirtschafts- und anderen
Sozialwissenschaften vorherrschende Menschenbild. Er wird auf die Ende
des 18. Jahrhunderts begründete klassische
Nationalökonomie zurückgeführt,[1]
in dem
zugehörigen Schrifttum jedoch nicht namentlich
erwähnt. Zum einen liegt dies an dem Ausdruck „economic
man“,
dessen sich
das englischsprachige Schrifttum
vornehmlich
bedient, zum anderen wurde selbst der economic man zumindest noch nicht
bei John Stuart Mill (1806-1873) beim Namen genannt.[2]
Eine frühe deutschsprachige Defintion des Homo
oeconomicus stammt von Eduard Spranger aus seinem
1914
erschienenen Werk „Lebensformen“ .
Der bei ihm für den Homo oeconomicus
stehende „ökonomische
Mensch“ zeichnet sich durch eine
eigennützige, auf
wirtschaftlchen Erfolg
und Macht bedachte Grundhaltung aus, und er sieht sich im
ständigen Konkurrenzkampf.[3]
II.
Erkenntnisthoeretische Funktion
Als das den Sozialwissenschaften zugrunde liegende
Menschenbild, beeinflusst der Homo oeconomicus das
wissenschaftliche Denken im Sinne eines selektiven Wahrnehmungsfilters.
Insbesondere betrifft dies die Festlegung von Problemstellung,
Erkenntnisziel, Erkenntnisobjekt, Auswahlprinzip und
Forschungsmethodik, welche als vorwissenschaftliche
Auswahlentscheidungen bezeichnet werden.[4]
Aufgrund der nicht
unbegrenzten intellektuellen Ressourcen eines Wissenschaftlers ist
dieses reduktionistische Vorgehen die Grundlage des Verstehens
überhaupt.[5]
Diese bewussten oder unbewussten Auswahlentscheidungen
übertragen
sich in den eigentlichen wissenschaftlichen Aussagenbereich.
Beispielsweise wird für die Betriebswirtschaftslehre
gewöhnlich die Gewinnmaximierung als
formales Auswahlprinzip genannt, die sich offensichtlich mit den
monetären Interessen
des Homo oeconomicus deckt. So konnte P. H. Werhahn
das Menschenbild
des Homo oeconomicus dem Aussagensystem des Gutenberg´schen
Faktoransatzes und eingeschränkt dem des
entscheidungsorientierten Ansatzes von Heinen zuordnen.[6]
III. Der Homo
oeconomicus in der Entscheidungstheorie
Am deutlichsten tritt der Homo oeconomicus in
der Entscheidungstheorie der BWL bzw. in der Decision Theory
School als das zugrundeliegende Menschenbild hervor. Das gilt
insbes. für die präskriptive
Entscheidungstheorie, welche untersucht „wie das
Entscheidungsverhalten der Menschen sein soll, wenn diese bestimmte
Ziele bestmöglich erreichen wollen“[7]
.
Die
theoretischen Entscheidungsmodelle zeichnen sich durch eine
Zielfunktion, Handlungs- alternativen, Konsequenzen (dieser Handlungen)
sowie Umweltzustände aus, wobei die letzteren von Sicherheit,
Unsicherheit i. e. S. und Risiko geprägt sein können.[8]
Entsprechend zeichnet sich der unterstellte Problemlöser durch
seine Zielvorstellungen, die vollkommene Information (hinsichtlich der
Kausalzusammenhänge zwischen den Umweltzuständen und
den Handlungsalternativen sowie ihren Konsequenzen) und die formale
Rationalität (optimale Ziel-Mittel-Zuordnung nach dem
ökonomischen Prinzip) aus; hinzu tritt die unendlich schnelle
Reaktion, d.h. es bestehen keine raumzeitlichen
Reaktionsbeschränkungen.[9]
Derselben grundlegenden Axiome
bedient sich im Übrigen die Rational Choice Theorie der
Soziologie; sie geht allerdings über die
betriebswirtschaftliche Dimension hinaus, und untersucht das Verhalten
im gesellschaftlichen Kontext. Die starken Modellvereinfachungen und
die Vernunftprämisse als solche haben allerdings zu
realitätsfernen Modellösungen geführt (vgl.
nächster Abschn.), welche daher „in der
Praxis
weitgehend ignoriert werden“.[10]
Infolge- dessen
wurde die
deskriptive Entscheidungstheorie entwickelt, die sich unter
Relativierung der Axiome des Homo oeconomicus die Frage stellt: „wie
werden Entscheidungen in der
Wirklichkeit getroffen, und
warum werden sie so und nicht anders getroffen?“ [11]
IV. Die
Realitätsferne des Homo oeconomicus als Entscheidungsoptimierer
Der Homo oeconomicus zeichnet sich durch eine Reihe
realitätsfremder Eigenschaften aus. Den Axiomen der
vollkommenen Information, der unendlich schnellen Reaktion und einer
optimalen Ziel-Mittel-Zuordnung (Rationalität) steht die
Begrenzung der kognitiven Fähigkeiten und der
Mobilität bei einem natürlichen Menschen entgegen.
Beispielsweise erfordert der Optimalitätsanspruch die
Anwendung logischer Aussagensysteme, und es stellt sich die Frage, wie
die zu behandelnden Phänomene der Wirklichkeit in eine
adäquate Sprache übersetzt werden können,
ohne dass wichtige Aspekte verschwiegen werden. Bereits I.
Kant hat in
seiner „Kritik der reinen Vernunft“
gezeigt, dass
dies nicht möglich ist.[12]
Nach ihm können
Objekte nur
vermittels der sinnlichen Erfahrung vom Verstand erfasst werden, so
dass sie lediglich als Abbildung der Realität zum Gegenstand
des Denkens werden. Diese Abbildung wird aufgrund der Schranken der
Sinnlichkeit niemals der Mannigfaltigkeit des realen Objekts bzw. all
seinen Aspekten gerecht und ist aus demselben Grunde im
Übrigen auch irrtumsbehaftet. Weitere Kritikpunkte am
Rationalitätspostulat sind das bewusst irrationale Verhalten
oder die Unfähigkeit zum (gänzlichen) „Abschalten“
der
Emotionalität bei
Entscheidungen. Auch ist ein konsistentes Zielsystem nicht
realitätsnah, denn dieses setzt eine bewusste Kenntnis der
Präferenzen und Bedürfnisse voraus. Diese unterliegen
allerdings in ihrer Intensität permanenten Schwankungen und
wechselseitiger Verdrängung und sind gedanklich oftmals schwer
fassbar und zu unbewusst, als dass sie artikuliert und durch bewusste
Vernunftakte befriedigt werden könnten. Infolge der
Realitätsferne des Homo oeconomicus wurden auch alternative
Konzepte entwickelt wie der Homo reciprocans oder der Homo complex, die
sich wegen zunehmender Komplexität nicht durchsetzen konnten.
V. Das
Problem der ethisch-normativen Kraft
Durch den Siegeszug der Wirtschaftswissenschaften und deren zunehmenden
Verflechtung mit der Politik entwickelte der Homo oeconomicus in
marktwirtschaftlich organisierten Gesellschaften eine normative Kraft.
Diese äußert sich vor allem in der Verfolgung
monetärer oder materieller Ziele und der
Rationalitätsprämisse, die für
erstrebenswert und grundlegend für das menschliche
Glück gehalten werden. Indirekt mündet das sogar in
der Aufforderung, mehr zu konsumieren, um wirtschaftstheoretischen
Überlegungen Rechnung zu tragen. Aber auch auf unpolitischer
Ebene übt der Homo oeconomicus Druck aus, indem die Verfolgung
von Zielen überhaupt und die Ausrichtung der
persönlichen Ressourcen darauf zu Glücksstiftern
erhoben werden. Ein Abweichen davon wird oftmals diskriminiert, und
Leistungs- oder Erfolgsdruck und Überforderung können
die Folge sein, insbesondere wenn die realitätsfernen
Prämissen des Homo oeconomicus ausgeblendet werden.
Autor: Webmaster
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Anmerkungen
zum Artikel
[1] Insbes. auch auf
A.
Smith, vgl. z.B. R.
Manstetten, Menschenbild, 2000.
[2] Lt. A.
Fey, homo
oeconomicus, 1936, S. 52.
[3] E.
Spranger, Lebensformen, 1966, S. 148 ff.
[4] P.
H. Werhahn, Menschenbild, 1989, S. 4.
[5] M.
Seidel, Werturteile, 2001, S. 10.
[6] P.
H. Werhahn, Menschenbild, 1989.
[7] E.
Heinen,
Wissenschaftsprogramm, 1969, S. 209, zit. nach H.
J. Rommelfanger, S. H. Eickemeier, Entscheidungstheorie, 2002, S. 2.
[8] Vgl. H.
Laux, Entscheidungstheorie, 2003, S. 19 ff.
[9] Vgl. M.
Patzak, homo oeconomicus, 1983, S. 54.
[10] H.
J. Rommelfanger, S. H. Eickemeier, ebd. S. 8.
[11] G.
Bamberg, A. G. Coenenberg, Entscheidungslehre, 2002, S. 4.
[12] Vgl. I.
Kant, Kritik der reinen Vernunft, insb. der
Teil über die „Transzendentale
Logik“, S. 50 ff. |
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